Dr. Birgit Nachtwey

 

FRÜHSTÜCK MIT DESSERT:

Heini Linkshänder – der Maler

 

Es ist der 25. 7. 2007, ich fahre mit dem Rad zu Heini Linkshänder – zum Frühstück.

Persönlich kennen gelernt haben wir uns Mitte der 1990er Jahre, doch die Verbindung blieb

vorerst lose. Von daher ist die Einladung mit Ankündigung einer Überraschung schon

Überraschung an sich. Sein versteckt gelegenes Zuhause in Mevenstedt am Rande Worpswedes,

mit Blick auf Wiesen, Weiden und Moorgraben, mutet an wie eine Hofstelle en miniature: Wohnhaus

und Schuppen mit Werkstatt, umgeben von hohen Laubbäumen und Kiefern sowie einer Mischung
aus Skulpturengarten, Staudenbüschen und Gemüsebeet mit Blattsalat. Es scheint, als habe
Heini Linkshänder das ländliche Leben seiner süddeutschen Heimat ein stückweit auf die
norddeutsche Wahlheimat übertragen und ganz selbstverständlich mit seinem Künstlerdasein
verschmolzen.

 

Drinnen bilden Wohnen und Arbeiten eine Symbiose: am Eingang die Küchenzeile und der
große Spiegel mit der Aufschrift »Die Energie bin ich«, daneben sein Rennrad, das – anders
als das Alltagsrad, mit dem er Besorgungen macht – besonders geschützt im Haus
untergebracht wird. Am Fenster der Schreibtisch, seitlich die Regalnische zum Verstauen
kleinformatiger Arbeiten und der rote Lesesessel gegenüber dem Ofen, daran angrenzend der
große quadratische Esstisch, obligatorisch mit Vase, Blumen und Kerzenleuchter, schließlich
die Nische mit dem aus Kupferrohren selbst gebauten Bücherregal und dem Schlafsofa mit
der roten Decke.

 

Als ich samt Brötchentüte in diese Welt eintrete, die ich als Gast der wiederkehrenden
Einladungen zu »Künstlerbrot und Kartoffelsuppe« schon erlebt habe, ist der
Tisch gedeckt und der Hausherr verblüfft mit einem kulinarischen Stillleben aus Früchten,
das dekorativ auf dem Tellerrand arrangiert ist. Es duftet nach Omelette, das in der Pfanne
brutzelt. Kochen ist für Heini Linkshänder durchaus ein Thema, selbst Fachsimpeln über
Rezepte gehört dazu, allerdings mit kompetenteren Gesprächspartnern als mir. Mich
konfrontiert er mit Gedanken zu Worpswede als Künstlerdorf und nimmt aus seiner Warte
Vergangenheit und Gegenwart, Verpasstes und Potenziale unter die Lupe. Konzentration ist
gefragt, denn in Heini Linkshänder mischen sich kerniger süddeutscher Tonfall mit
notorisch-kritischem bis zynischem Blick und verbaler wie rhetorischer Stärke als provokanter
Querdenker. Und doch weiß er bei aller Dominanz, Drastik und Bissigkeit, die sich in seinen pointierten Äußerungen und Kommentaren Bahn bricht, den Zuhörer für sich einzunehmen.

 

Vom Tisch, dem Kommunikationszentrum seiner Heimstatt, geht der Blick sowohl nach draußen
als auch an die Wände, die sich für jeden Besucher als kleine Galerie mit Wechselausstellung
präsentieren. Wann immer man kommt, entdeckt man Neues. Papierarbeiten werden
vorgeführt, dann kommt Heini Linkshänder auf den Punkt: Vor zwei Jahren, 2005, hat er
beschlossen, sich künstlerisch noch einmal neu herauszufordern und die bildhauerische und
druckgrafische Arbeit aufzugeben, um sich neben Zeichnen bewusst auf Malerei zu konzentrieren
und diese autodidaktisch zu entwickeln. Eine Reise zur Tochter, die damals in Italien in
der Toscana lebt, hat den entscheidenden Anstoß gegeben und als eines der ersten Bilder
die Darstellung einer Zypresse hervorgebracht. Kostproben seither entstandener kleiner

Leinwandbilder hängen ringsum. Um mir die größeren Formate zeigen zu können, muss die
Luke zum Dachboden herunter gelassen werden.

 

Was sich dort offenbart, löst das Versprechen der angekündigten Überraschung vollends ein:
Ordentlich aufgereiht stehen dicht an dicht Gemälde. Sie sind zum Schutz in transparente
Luftpolsterfolie gehüllt und quasi »reisefertig« für einen möglichen Transport. Leuchtstarke
Motive scheinen hindurch und man erkennt sofort, dass mit diesen Arbeiten auch das
Kapitel der um 1999/2000 entstandenen gegenstandslosen Nesselbilder, die in Blutrot
getaucht und verschiedentlich mit Bienenwachs und Kupferelementen kombiniert sind,
abgeschlossen ist.

 

Alles auszupacken reicht die Zeit nicht aus, wir verabreden uns neu. Diesmal werfen wir
einem Blick in die Atelier-Werkstatt, die Heini Linkshänder weitgehend in Eigenarbeit gebaut
hat. Hier riecht es erwartungsgemäß nach Ölfarbe und es finden sich diverse mit vielen
dünnen Lagen vorbereitete Malgründe, die darunter liegende Schichten an der Oberfläche
aufscheinen lassen. Bisher hatten die Farben Rot und Schwarz das Schaffen beherrscht, nun
öffnet sich das Spektrum auf Zwischentöne, die zuvor nur in Aquarellen auftauchten. Neben
Rot und sonnigen Tönen wie Gelb und Orange bevorzugt er unterschiedliche Nuancen von
Grau und Grün, Beige und Braun sowie Violett und Rosa; Blau interessiert den Maler offenbar
wenig. Außer Keilrahmen mit Leinwänden sind kleinformatige Holzplatten zu entdecken.

 

Heini Linkshänder sucht offenkundig auch in der Malerei die Nähe zum bevorzugten
Werkstoff, mit dem ihn nach wie vor die Tischlerei Kück in der Bahnhofstraße versorgt.
Rest-Zuschnitte dienen jetzt für Tafelmalerei im besten Sinne und wecken Assoziationen an
den Typus des Votivbildes. Rückseitig angefast, entsteht beim Hängen an der Wand ein
schwebender Eindruck und die Bilderleiste erübrigt sich. Für das Rahmen der Leinwandbilder
kann dagegen aus dem Vollen geschöpft werden. Der Worpsweder Künstlerkollege Willy
Meyer-Osburg (1934 – 2005) hat dem Freund seinen Bestand an Leisten vermacht.

 

Die Zahl der entstandenen Bilder ist stattlich und die Zeit scheint reif, sie öffentlich zu
präsentieren. Erste Gelegenheit bietet im Herbst 2007 eine Ausstellung in Neustrelitz,
die den – rückblickend betrachtet – denkwürdigen Titel »Das Dasein verliert an Dauer«
hat. Mit der für Anfang 2008 geplanten Ausstellung in der Galerie für gegenwärtige
Kunst im Hotel Village will sich der Künstler den Worpswedern neu vorstellen, und zwar als
Maler mit abgeschlossenem bildhauerischen Schaffen, das exemplarisch gezeigt werden
soll. Konzeption und Aufbau liegen ganz in seiner Hand. Geschickt weiß er die räumliche

Situation zu nutzen und Bilder weitgehend allein zu hängen. Beidhändern, die ihn
punktuell unterstützen, bleibt es schleierhaft, wie der Linkshänder das schafft.

 

Seine Einladungskarte ist Programm: »Mit neuem Biss ins nächste Jahrzehnt. Heini
Linkshänder 70.«. Die Innenseite zeigt das Ölgemälde »Barfußlaufendes Mädchen«
(2006), das zusammen mit »Stilles Land« (2008) und vergleichbaren Arbeiten die frühe
Werkgruppe in der Malerei dokumentiert. Sie wirken wie die Übersetzung der aus den
vorausgegangenen druckgrafischen Blättern vertrauten Bild- und Formensprache in Malerei
und auch die poetischen Titel der Gemälde, die Aphorismen ähneln, sind vertraut.

 

Chiffrehafte geometrische Elemente und figürliche Darstellungen in archaischer Anmutung
werden vor unbestimmtem Hintergrund und Bildraum arrangiert. Flächig-abstrahierender
und erzählerischer Gestaltungsansatz greifen ineinander. Darüber hinaus offenbaren
sich andere wiederkehrende Merkmale wie: Poesie und subtiler Witz, die Hommage an die
Weiblichkeit, der kontrastreiche Farbenkanon bei reduzierter Palette und damit einher das
Bekenntnis zu den Lieblingsfarben Gelb und Orange. Häufig treten auch rahmenverwandte
Formen auf, die als vertikaler oder horizontaler Streifen das Bildfeld begrenzen oder einteilen.
Sie dienen dazu, der Komposition Halt beziehungsweise Gleichgewicht zu verleihen,
Spannung zu erzeugen und dem kontrastreichen Farbspiel zusätzliche Energie zu liefern.
Details wie Binnenzeichnung, Stofflichkeit oder Plastizität sind ohne Belang; die Idee, die
dahinter steht, ist und bleibt im gesamten Werk das Vordringliche.

 

Nach »Hommage an Paula« (2005) spiegelt sich zwischen 2007 und 2009 verstärkt die
Auseinandersetzung mit den Lichtgestalten der Worpsweder Kunstgeschichte, die ihn im
Rahmen des lokalen Ausstellungsprojektes »Sehnsucht nach Landschaft« (2000) schon
einmal intensiver beschäftigten. Als Maler reagiert er auf die innere Zwiesprache mit den
Gründervätern der Künstlerkolonie und der posthum zu Weltruhm gelangten Paula
Modersohn-Becker in Form von zwei Werkgruppen, die dem Genre Landschaft und Bildnis
zuzuordnen sind. Einmal mehr steht statt des Abbildes die Wesenheit von Mensch und Natur
im Fokus. Die Hinwendung zur Landschaft führt überraschend zu naturalistischen Anklängen
und zu Motiven, die man im weitesten Sinne als Interpretationen der Worpsweder Landschaft
auffassen kann. Damit schließt sich der Maler den wenigen zeitgenössischen Worpsweder
Künstlern an, in deren Werken die flache Niederungslandschaft des Teufelsmoores mit
ausgedehntem Himmel, flachem Horizont und seichter Erhebung des Weyerberges augenscheinlich
ihren Niederschlag findet. Im OEvre entdeckt man aber auch einige Werke mit
Anspielungen auf Strand und Meer, zu denen sommerliche Inselurlaube u. a. auf Spiekeroog
inspiriert haben, so dass ihnen eine autobiografische Attitüde anhaftet.

 

Während sich die »worpswederisch« anmutenden Gemälde menschenleer präsentieren, sind
diejenigen ohne erkennbare Verortung symbolisch belebt: oft winzig klein im Verhältnis zur
Weite des Bildraumes steht eine einzelne Figur stellvertretend für Mensch schlechthin, ein
einzelner Baum für lebendige Natur und ein bauklötzchenartiges Haus für menschliche
Behausung. »In der Gegend meiner Gegend« (2007) verquickt solche Elemente und liefert
unterschwellig eine weitere autobiografische Anspielung, die man ebenso dem »Winterwind« (2010) zuschreiben mag, jenem kleinformatigen Bild, das in seiner Gliederung
und Reduktion auf das Lineament wie ein geschriebener Zweizeiler wirkt und eine
interessante Variante in der Handhabung der chiffrehaften Stilisierung zeigt.

 

Mit seinen bewussten oder unbewussten Annäherungen an die Charakteristika der
Worpsweder Landschaft, die ihm allein schon durch den Zugang zur moorig-dunklen
Farbpalette und die horizontale Flächengliederung, gegen die sich einzelne Bildelemente
abzeichnen, gelingt, schlägt Heini Linkshänder die leisesten Töne in seiner Malerei an. Die
Bilder beeindrucken durch ihre farbliche Harmonie, kompositorische Ausgewogenheit,
Ästhetik und Poesie. In Werken wie »Die Sonne kommt« (2009), »Geflochtene Stille« (2009)
und »Begegnung mit einer schönen Landschaft« (2009) erlaubt sich der Maler, seine
romantische Seite und sogar einen Hauch von Melancholie zum Klingen zu bringen. Assoziationen
an Stille, Ruhe, Einsamkeit, Größe und Weite werden geweckt; Begriffe, die schon
Rainer Maria Rilke in seinen um 1900 verfassten Hymnen auf Worpswede verwendete.

 

So empfindsam die Landschaftsmalerei, so beseelt und überaus sensibel erweisen sich die
späten figurativen Arbeiten, bei denen neben einigen Kindermotiven (»Mama ich bin dreckig«, 2010) ausdrucksstarke Köpfe vorherrschen. Sie wirken oft androgyn und haben
Bildnischarakter, ohne als Porträt gemeint zu sein. Universelles zeigt sich im scheinbar
Individuellen, und gleichzeitig meint man immer wieder autobiografische Einflüsse zu
sehen. Anfangs erzählerisch-poetisch mit naturalistischer Anmutung (»Das Kind allein
weiß es«, 2010), dann in der Art eines groben farbigen Holzschnitts (»Die Werkstatt
meiner Gedanken«, 2009), führt die formale Verknappung (»Zentrum«, 2008) zu naiv
wirkenden, traumwandlerischen »Mondgesichtern« (»Schädeldenken«, 2011), die in ihrer
Kahlköpfigkeit bloß noch als Umrisslinie erfasst und auf den Malgrund wie auf eine
Tafel »geschrieben« sind. Werden sie im Profil vorgeführt, nehmen sie umso heftiger
kalligrafische Züge an. Gelegentlich tauchen Kreise und Tupfen im Hintergrund als Begleiter
auf. Sie fungieren formal als Medium spielerischer Leichtigkeit, Dynamik und
Ästhetik, während die Farbe ihnen die Rolle des Bedeutungsträgers zuweisen kann.

 

Heini Linkshänder ist auf der Suche nach den Geheimnissen menschlicher Seele und
Emotion, und so streben seine späten Bilder nach allgemeingültigen Festschreibungen

menschlicher Charaktere und deren Ausdruck. Es geht ihm darum intuitiv auszuloten, wie
er mit einem Minimum ein Maximum an Physiognomie und Mimik auf den Malgrund
bannen und so menschliche Seelenbefindlichkeiten evozieren kann. In eben diesem
Bestreben, das innere Wesen bildhaft sichtbar zu machen, spiegelt sich – bezogen auf das
Worpsweder Umfeld – die Bedeutung Paula Modersohn-Beckers als wichtige Impulsgeberin
für das Spätwerk.

 

Außerdem zeigt sich, dass der theoretische Überbau, den Heini Linkshänder für seine
Kunst als Bildhauer, Druckgrafiker, Objekt- und Aktionskünstler gewählt hat, in seinem
Werk als Maler auf andere Anknüpfungspunkte zugreift. War er durch die besondere Berührung
mit Joseph Beuys (1921 – 1986) überzeugter Verfechter der Idee, Kunstschaffen
konsequent als sozialen Prozess zu verstehen, so folgt seine Malerei Maximen, die rezeptionsgeschichtlich
betrachtet ihre Wurzeln bei führenden Vertretern der Informellen Kunst
haben. Sowohl eine Nähe zum Frühwerk von Jean Dubuffet (1901 – 1985) als auch zum
bedeutenden Vorläufer Paul Klee (1879 – 1940), der Kunstäußerung richtungweisend als
»psychische Improvisation« bezeichnete, lässt sich attestieren. Und so liest sich die Liste der
für diesen künstlerischen Ansatz typischen Merkmale, als wollte man erneut das malerische
Schaffen von Heini Linkshänder umschreiben: man findet die Poesie des Gewöhnlichen
und Alltäglichen, die menschliche Anonymität, die verschlüsselte Andeutung, das
Spiel mit archaischen und meditativen Bildzeichen, die Arbeit mit der Farbfigur als
Chiffre vor unbestimmtem Hintergrund, die Annäherung ans Ästhetische, das Pendeln
zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, die Betonung des Malprozesses bei stark
reduzierter Palette, die spannungsreiche Dialektik zwischen malerischem Bildgrund und
den darauf gesetzten grafischen Zeichen und schließlich die eigentümliche Ruhe und
Würde, die den Werken innewohnt.

 

Selbst mit der Kernbotschaft der informellen Expressionisten stimmte Heini Linkshänder
überein und wurde nicht müde, sie zu propagieren: Es geht um sichtbar machen und nicht um die
Wiedergabe des Sichtbaren.

 

 

Worpwede 2013